URL:   http://pat-binder.de/de/txt/haupt-rede.html


Zapping - Eröffnungsrede
von Gerhard Haupt

(Druckversion)


Meine sehr verehrten Damen und Herren,
eigentlich könnte ich Sie heute auch mit »liebe Zapping-Gemeinde« begrüßen. Nicht nur, weil Sie erfreulicherweise zur Eröffnung der Ausstellung mit diesem Titel gekommen sind. Wohl den meisten von uns Telekonsumenten ist die abendlichen Gewohnheit des »Zapping« gemein. Zumindest die Medienforscher, die es ja wissen müssen, halten uns allesamt für ein Volk von Zappern. Wir sind einerseits das von den Fernsehanbietern umworbene Publikum, aber andererseits sind wir eben wegen dieser Gewohnheit auch zum Ärgernis der Einschaltquotenzähler geworden. Das permanente Hin- und Herschalten macht es schwerer, uns zu erfassen und als Argument beim Akquirieren von zahlungskräftigen Werbekunden ins Feld zu führen. Die möchten ihre Zielgruppen gern fein säuberlich vorsortiert haben. Doch unser flatterhaftes Wesen vor den Fernsehschirmen hat seinen Ursprung ja nicht etwa in einer bewußten Konsumverweigerung oder einem mißverstandenen Dauerbetrieb so schön ergonomischer Fernbedienungen. Der heftig expandierende Medienmarkt selbst hat es erzeugt. Das kaum noch überschaubare Angebot, mit dem man uns bombardiert, verwirrt uns und erzeugt die Befürchtung, man könnte etwas Wichtiges oder besonders Unterhaltsames auf einem anderen Kanal versäumen, während man bei einem bestimmten Programm bleibt. Die Ausweitung der Medienlandschaft ist des öfteren als endgültige Entgrenzung bezeichnet worden. Das heißt, wie Prof. Schulze von der Universität Bamberg schrieb, der Möglichkeitsraum für die Benutzer der Medien wächst über jedes menschliche Maß hinaus. So zappen wir uns infolgedessen - meist nur mäßig amüsiert oder leidlich gelangweilt - durch die Flut der bunten Fernsehbilder und sind dennoch der hypnotisierenden Anziehung des Mediums verfallen. Für viele ist es das wichtigste Fenster zur Welt geworden.

Es handelt sich beim »Zapping« also um ein hinlänglich bekanntes und häufig diskutiertes Phänomen. Angesichts des Titels könnte man zunächst denken, in dieser Ausstellung würde wieder einmal nur eine heute so beliebte Medienkritik geübt. Doch Pat Binder ist selbst eine bekennende Zapperin. Wie sie schrieb, kann sie ebenfalls nicht anders, als sich von einer durch die elektronischen Medien vermittelten Wirklichkeit überfluten zu lassen. Allerdings hatte sie bei der Wahl ihres Ausstellungstitels dennoch auch andere Bedeutungen des Wortes im Sinn. In die einschlägigen deutschen Enzyklopädien ist es noch nicht aufgenommen worden, aber dank Internet hat man inzwischen ja die Möglichkeit, mal eben schnell im American Dictionary of the English Language nachzuschauen. Die moderne Technik ist eben doch ein Segen. So war zum Verb »to zap« am Monitor nachzulesen, es bedeute unter anderem zerstören oder töten mit einem Feuerstoß, Flammen oder elektrischem Strom; jemand heftig und plötzlich wie mit einer Waffe angreifen. Als Substantiv ist mit dem Wort etwas gemeint, das Aufregung oder großes Interesse hervorruft. Da Pat ein friedfertiger und noch dazu kreativer Mensch ist, ging es ihr vor allem um das Letztgenannte: sich nicht nur passiv dem Bilderstrom hingeben, sondern etwas unverkennbar Eigenes in ihn einbringen, sich - ich zitiere sie - »mit einem Eigenprogramm einzuschalten«, ihr Selbstbewußtsein als »resistance image«, als Schützengraben ihrer Sehnsüchte und Ängste, als Werbespot ihres innersten Selbstgefühls zu artikulieren.

Seit einiger Zeit bedient sie sich dafür in einem großen Teil ihrer Arbeiten einer anachronistisch anmutenden Technik. Sie ist natürlich nicht willkürlich gewählt, sondern als Kontrast zur High-Tech-Welt gemeint, mit der sie sich auseinandersetzt. Pat Binder wurde dazu durch alte Schwarzweiß-Dias angeregt, auf die sie durch Zufall auf einem Londoner Flohmarkt stieß. Zunächst hat sie diese selbst in ihre Kunst eingebaut. Wie sie das tat, ist hier in der Ausstellung in den Objekten der Gruppe »Ausblicke: Landschaften« von 1994 zu sehen. Etwas später hat sie eine Fotoemulsion auf Glasscheiben aufgetragen und diese dann wie bei einer alten Plattenkamera belichtet. Durch das Entwickeln im Labor entstanden transparente Schwarzweißbilder auf Glas oder - wenn man so will - großformatige Dias. Das klingt einfach, ist aber tatsächlich eine ziemlich komplizierte, beinahe in Vergessenheit geratene Prozedur. Oft genug löste sich die schon entwickelte Emulsionsschicht mit dem fertigen Bild beim Wässern oder Fixieren wieder von der Glasplatte - und das vermeintliche Resultat mehrerer Stunden Arbeit verschwand im Ausguß. Immer wieder hat sich Pat an den scharfen Kanten der Gläser geschnitten. Wenn sie dem gläsernen Bildträger die metaphorische Bedeutung von Fragilität, Sprödheit und Gefährdung beim Zerbrechen beimißt, stehen dahinter also ganz reale, manchmal eben sogar schmerzhafte Erfahrungen.

Im allgemeinen fixiert sie bewegte Bilder der Mattscheiben, die normalerweise nur für einen kurzen Moment an uns vorbeirauschen. Durch ihre Statik, die Umwandlung in ein diffuses Schwarzweiß und ihre Einordnung in Objekte und Installationen werden sie neu interpretiert und einer ganz anderen Wahrnehmungsform ausgesetzt. So werden sie anstelle von Fensterscheiben in alten Rahmen im Wortsinne zu »Fenstern zur Welt«. Wie gerade bei dieser Arbeit sehr schön zu sehen ist, entsteht durch die Projektion auf die dahinterliegende Wand eine zusätzliche, immaterielle Ebene aus Licht und Schatten. In der langen »Zapping Line« überlagert und durchdringt eine Fülle von solchen Fernseh- und Videostills den eigenen Körper. Dabei spielt es keine entscheidende Rolle, welche Bilder ausgewählt wurden. Im Grunde sind sie beliebig und austauschbar. Wenn sich darunter auch Szenen von Kriegsschauplätzen befinden, steht dahinter keine vordergründige Absicht. Sie gehören nun mal genauso zur täglichen Fernseherfahrung, wie der Wetterbericht, das Kochstudio, die Talkrunde oder irgendeine der vielen Spielshows. Indem die Arbeit das deutlich macht, trifft sie natürlich eine nachdenkenswerte Aussage. Aber sie kommt nicht belehrend oder moralisierend daher, sondern ist ein komplexes und persönliches Sinnbild dafür, wie sehr man selbst mit einer sozusagen virtuellen Realitätsebene verwoben ist.

Nachdem sie die Gleichzeitigkeit und Interdependenz einer durch die elektronischen Medien veränderten Wahrnehmung mit statischen Mitteln zu fassen versuchte, bedient sich Pat Binder in ihrer letzten Arbeit direkt der Ausdrucksform bewegter Bilder. Ihre Videoinstallation im hinteren Raum läßt besonders gut erkennen, daß es ihr dabei nicht um eine distanzierte Medienkritik an sich geht. Statt der Versuchung des abgehobenen Spiels mit einer neuerlichen Bilderflut zu erliegen, hat sie eine sehr konzentrierte und existentielle Metapher für das Bemühen um individuelle Selbstbehauptung geschaffen.


©  Gerhard Haupt / Website: Pat Binder

Rede zur Eröffnung der Ausstellung »Pat Binder: Zapping«,
ifa-Galerie Berlin, 21. März 1996


    < Texte